Mirli´s Lesecafé – Das Café der Existenzialisten

Meine Lieben, eine Behauptung traue ich mich hier und heute aufzustellen – es wird niemals passieren, dass ich an meinem Lesecafé etwas grundlegend ändern werde. Tatsächlich waren meine Buchvorstellungen mit ein Grund, warum ich überhaupt mit MirliMe begonnen habe. Wenn man zehn bis fünfzehn Bücher pro Monat verschlingt (das war zumindest einmal so), dann kommt einem schon das eine oder andere Werk unter, von dem man am liebsten der ganzen Welt erzählen möchte. Allerdings waren die Bücher, von denen ich euch bisher berichtet habe, zu achtundneunzig Prozent Liebesromane. Das wird zwar auch weiterhin das Hauptgenre bleiben, aber natürlich lese ich nicht ausschließlich diese Art von Geschichten. Deshalb sollen in Zukunft auch hin und wieder andere Bücher ihren Platz in unserem Lesecafé finden.
Dass ich mich die letzten Wochen eingehender mit dem Existenzialismus beschäftigt habe, wisst ihr mittlerweile. Ein Buch, das sozusagen der perfekte Start in die Materie war und mich die letzten Wochen begleitet hat, möchte ich euch heute gerne etwas genauer vorstellen.
Da es allerdings keinen Unterschied macht, ob romantische Liebesgeschichte, spannender Thriller oder Stoff für die Gedankenwelt, bleibt der Hausbrauch in Mirli´s Lesecafé ansonsten gleich. Es gibt warmen Tee, frisch gebackenen Kuchen und ein paar kuschlige Decken liegen auch schon für euch bereit. Macht es euch gemütlich und lasst euch von mir ins Café de Flore nach Paris entführen, wo ein paar nicht unbekannte Persönlichkeiten auf uns warten, alles Liebe, x S.Mirli!

Buchvorstellung “Das Café der Existenzialisten”

Autor: Sarah Bakewell
Erscheinungsdatum: 6. November 2019 im C.H.Beck Verlag
Seitenanzahl: 448
Preis bei Amazon: 17,42€

Autor: Sarah Bakewell lebt als Schriftstellerin in London, wo sie außerdem Creative Writing an der City University lehrt und für den National Trust seltene Bücher katalogisiert. Ihre geniale Biographie “Wie soll ich leben? oder Das Leben Montaignes in einer Frage und zwanzig Antworten” (C.H.Beck Paperback, 2016) wurde zu einem internationalen Bestseller, ausgezeichnet mit dem Duff Cooper Prize for Non-Fiction und dem National Books Critics Circle Award for Biography.

Inhalt laut Klappentext: Wie macht man Philosophie aus Aprikosencocktails? Für Sartre kein Problem: Er machte Philosophie aus einem Schwindelgefühl, aus Voyeurismus, Scham, Sadismus, Revolution, Musik und Sex. Sarah Bakewell erzählt mit wunderbarer Leichtigkeit, wie der Existenzialismus zum Lebensgefühl einer Generation wurde, die sich nach radikaler Freiheit und authentischer Existenz sehnte. Ihre meisterhafte Kollektivbiographie der Existenzialisten ist zugleich eine höchst verführerische Einladung, die existenzialistische Lebenskunst heute neu zu entdecken.

Das Café der Existenzialisten – Freiheit, Sein und Aprikosencocktails mit Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Albert Camus, Martin Heidegger, Edmund Husserl, Karl Jaspers, Maurice Merleau-Ponty und anderen

Mein Philosophieunterricht in der Schule liegt inzwischen doch einige Jährchen zurück. Lustigerweise konnte ich damals nicht viel mit dem Thema anfangen. Vielleicht lag es aber auch an der Art des Unterrichts. Ich habe nicht verstanden, warum ich die Gedanken von irgendwelchen Menschen verinnerlichen sollte – denn genau so war es. Im Prinzip mussten wir ein Zitat nach dem anderen auswendig lernen. Das halte ich noch immer nicht für sinnvoll, auch nicht Jahre danach.
Allerdings bin ich heute der Meinung, sich mit diesen Gedanken zu beschäftigen und dadurch die eigene Kopfwelt anzuregen, das kann das eigene Leben ungemein bereichern und gibt zumindest mir persönlich momentan extrem viel.

“Manche sagen, Existenzialismus sei mehr eine Stimmung als eine Philosophie und er lasse sich auf einige zum Weltschmerz neigende Romanciers des neunzehnten Jahrhunderts zurückführen. Doch man könnte die Geburtsstunde des modernen Existenzialismus auch auf einen Abend um die Jahreswende 1932/33 legen, an dem drei junge Philosophen im Café Bec de Gaz in der Pariser Rue Montparnasse zusammensaßen, Klatschgeschichten austauschten und Aprikosencocktails tranken, die Spezialität des Hauses.”

Das Café der Existenzialisten war für mich der perfekte Einstieg in eine Welt, mit der ich mich die letzten zwanzig Jahre nicht wirklich beschäftigt habe – wobei das so auch nicht stimmt. Denn das ist für mich das eigentlich Spannende an der Philosophie. Sie ist im Grunde Teil unser aller Alltag, ohne dass wir uns bewusst dazu entschließen.

“Die Philosophen, sagte er, hätten bisher ihre Zeit mit zweitrangigen Problemen verschwendet und dabei vergessen, die wichtigste Frage überhaupt zu stellen: die nach dem Sein.”
“Sartre fasste dieses Prinzip in einem einzigen Satz zusammen, der den Existenzialismus definiert: Die Existenz geht der Essenz voraus.”
“Vereinfacht gesagt, bedeutet sie: Der Mensch ist in die Welt geworfen und muss sich – seine Natur, seine Essenz, sein Wesen – erst definieren … Wer glaubt, er könne anderen ein Etikett anheften und sie damit charakterisieren, verkennt die Situation, denn der Mensch ist etwas Unfertiges. Er erschafft sich erst durch sein handeln. Das ist für Sartre die Conditio Humana schlechthin …”

Der Existenzialismus ist die Philosophie der Freiheit, wenn man so will. Sarah Bakewell lässt uns chronologisch eintauchen in die Welt von Heidegger, Husserl, Sartre, Simone de Beauvoir, Maurice Merleau-Ponty und vielen anderen. Der eine liegt einem mehr, der andere weniger, aber anhand dieser kurzen Biografien kann man für sich herausfinden, mit wem man sich weiter und eingehender beschäftigen möchte.

“Der Mensch ist frei – und damit ist er verantwortlich für alles, was er tut: eine schwindelerregende Erkenntnis, und sie weckt eine Angst, die mit der menschlichen Existenz untrennbar verbunden ist.”
“Man solle, so Sartre, seine Entscheidungen so treffen, als gälten sie für die gesamte Menschheit und als trage man für deren Verhalten die alleinige Verantwortung. Wer dieser Verantwortung ausweicht, indem er sich vormacht, er sei das Opfer widriger Umstände oder schlechter Ratschläge, verfehlt die Anforderungen des menschlichen Lebens.”

Mein eindeutiger Favorit, wie sich nicht zuletzt durch “Das Café der Existenzialisten” herausgestellt hat, ist Sartre (wobei ich zugeben muss, dass die Lektüre seines Hauptwerks des Existenzialismus “Das Sein und das Nichts” mich gerade an meine Grenzen bringt. DAS ist eine ganz andere Herausforderung). Mit Heidegger, zum Beispiel, konnte ich eher weniger anfangen, was aber auch an seiner Gesinnung während des Nationalsozialismus liegen kann.
Ein Begriff, an den ich mich entweder nicht mehr erinnern kann oder der im damaligen Unterricht keine Erwähnung fand, dem ich aber noch genauer auf den Grund gehen möchte, ist die Phänomenologie, die einen großen Part in Sarah Bakewells Buch einnimmt – und mich absolut fasziniert hat.

“Phänomenologie – Verschwende deine Zeit nicht mit Interpretationen, den Dingen etwas zuzuschreiben … Betrachte einfach nur das, was sich dir präsentiert, was auch immer es sei, und beschreibe es so präzise wie möglich.”

Wenn wir phänomenologisch durch die Welt gehen, alles auf diese Art betrachten und anderen so begegnen würden, ich glaube, dann wäre diese Welt ein besserer Ort.

“Wir können nie definitiv von der Unwissenheit zur Gewissheit gelangen, weil uns der Faden des Fragens immer wieder zur Unwissenheit zurückführt. Das ist die reizvollste Beschreibung der Philosophie, die ich kenne, und das beste Argument dafür, dass es sich lohnt zu philosophieren, auch wenn es uns nicht weit von unserem Ausgangspunkt wegführt (oder vielleicht gerade deshalb).”

Fazit: Die letzten Jahre war ich zeitlich zu sehr in meiner Blog- und Social-Media-Blase gefangen, dass ich mich kaum mit anderen Dingen beschäftigen konnte und ich merke erst jetzt, wie sehr ich es vermisst habe. Wie gut es tut, sich in neue oder leider vergessene Welten und Themen einzulesen. Ich will nun eindeutig mehr davon, das hat “Das Café der Existenzialisten” geschafft. Es hat mich neugierig gemacht auf die Welt der Philosophie, darauf unser ganzes Sein anders zu betrachten, vielleicht phänomenologisch, vielleicht auch einfach nur bewusster. Sich über seine eigene Rolle Gedanken zu machen. Über die Idee von Freiheit, was es bedeutet, was ich daraus mache. Anfangs hatte ich persönlich Schwierigkeiten mit dem Schreibstil, was aber nicht an Sarah Bakewell gelegen hat, sondern eher an mir selbst, denn es ist nun mal eine andere Art von Buch, als ich in letzter Zeit gelesen habe. Es ist eine Ansammlung von Biografien, es verschafft einen Überblick über das damalige Weltgeschehen und die Verbindung zu den entstandenen Werken. “Das Café der Existenzialisten” ist eine gelungene Einführung in die Welt des Existenzialismus und ein absolutes aber anderes Lesevergnügen und bekommt meine eindeutige Leseempfehlung!

eine Lieben, vor zwei Jahren habe ich mir “Das Café der Existenzialisten” zu Weihnachten gewünscht, habe damals gleich mit dem Lesen begonnen – und war doch noch nicht bereit dafür. Aber jetzt war es der perfekte Zeitpunkt. Vielleicht liegt es an dieser speziellen Zeit, in der wir leben, wenn wir uns ganz automatisch, ob wir wollen oder nicht, Gedanken über die eigene Freiheit machen.
Würde sich jeder mit Sartres Definintion des Existenzialismus beschäftigen, würden wir keine Demonstrationen auf der Straße mehr sehen und auch keine Diskussionen über andere Maßnahmen führen müssen. “Der Mensch ist frei – und damit ist er verantwortlich für alles, was er tut.” So einfach ist es und somit hat man auch eine Verantwortung gegenüber einer jeden Tat und eine Verantwortung gegenüber jedem Mitmenschen!
Ihr Lieben, mir ist natürlich bewusst, dass diese Buchempfehlung sehr wahrscheinlich nicht für jeden interessant ist. Aber vielleicht will ich damit auch nur die Lust wecken, sich mit neuen Themen auseinanderzusetzen, mit der Idee, seine Komfortzone zu verlassen, seinen Geist zu stimulieren.
Erzählt mir doch bitte gerne, ob euch solche Buchempfehlungen auch interessieren. Ich werde jetzt mein Bücherregal durchstöbern, um zu sehen, was ich noch so für Schätze darin finden kann. Ich freue mich auf ein Wiederlesen am Montag mit euch, denn es gibt da einige Fragen, die dringend auf Beantwortung warten! Alles, alles Liebe, love&peace,