zu klein

Meine Lieben, könnt ihr euch vorstellen, wie schlimm es ist, wenn ihr in der Früh aufwacht, alle möglichen Gedanken in eurem Kopf habt, die ihr eigentlich am liebsten sofort zu Papier bringen wollt, aber nein, ihr müsst euch beeilen und fertig machen, da ihr dringend zu einem Termin müsst? Auf gewisse Weise zerreißt es mich in so einem Moment beinahe, da ich das Gefühl habe, ich muss diese Gedanken, diese Worte jetzt sofort aus mir rausbringen, sonst kann ich für nichts garantieren. Aber egal wie sehr ich am liebsten auf alles pfeifen würde, da ist zusätzlich dieses Pflichtbewusstsein in mir, das mich brav zu diesem Termin stapfen lässt, obwohl ich mich viel lieber mit meinem Notebook am Schoß in eine Ecke verziehen würde, um alles rauszulassen, was da offensichtlich so unbedingt raus will aus mir.

Es ist nicht einmal so, dass ich Angst habe, ich könnte, wenn ich denn dann endlich Zeit gefunden habe, vergessen haben, was ich eigentlich sagen wollte. Zumindest ist es noch nie passiert. Aber ab und zu ist es so, dass diese Gedanken, die sich in dem einen Moment noch so groß angefühlt haben, dass sie in mir drinnen keinen Platz mehr hatten, zwei Stunden später irgendwie wieder geschrumpft sind. Etwas, das ich zuerst kaum fassen konnte, kaum in Worte fassen konnte, fühlt sich plötzlich anders an.
Beziehungsweise – ich fühle es einfach nicht mehr so.

Dabei ist das ein Gefühl, das ich sehr gut kenne. Dieses Gefühl, es zerreißt mich. Ich zerplatze gleich.
Ja, dieses Gefühl begleitet mich eigentlich schon mein ganzes Leben.
Es ist dieses Gefühl, das ich ab und zu habe, dass dieses Leben zu klein ist für mich. Versteht ihr?
Es fällt mir unglaublich schwer, zu beschreiben, was genau ich damit meine. Aber egal wie oft ich diese Gedanken oder diesen Satz wälze und hin und her drehe, er bleibt immer gleich:

Dieses Leben fühlt sich zu klein an für mich.

Da ist so viel in mir – nennen wir es Kraft oder Energie, nennen wir es Gefühl oder Emotion, nennen wir es Worte oder Gedanken – all das sind Begriffe, die für jeden greifbar sein sollten. Und trotzdem beschreiben sie nicht einmal ansatzweise, was da in mir so groß ist und immer weiter anwächst, sodass es sich anfühlt, als würde ich irgendwann platzen. Als würde es mich irgendwann zerreißen.

Dass das Leben zu klein macht für mich.

Ihr habt doch bestimmt alle schon mal etwas anprobiert, das sich in dem Moment, als ihr versucht habt es überzustreifen, wie mindestens zwei Nummern zu klein angefühlt hat, oder? Ansonsten, stellt euch doch vor, ihr quetscht euch in einen hautengen Neoprenanzug. Ihr bekommt den Arm kaum durch das vorgesehene Loch, die Beine lassen sich nicht richtig anwinkeln, weil alles viel zu stramm und eng sitzt. Von der Mitte um den Brustkorb herum fangen wir besser gar nicht erst an. Es schnürt euch so eng zusammen, dass ihr kaum noch Luft bekommt. Nicht atmen könnt. Als ob ein dicker, fetter Elefant mitten auf euch draufsitzt.
Habt ihr dieses Gefühl in euch? Könnt ihr es euch jetzt gerade vorstellen?
Dann wisst ihr genau, wie es mir geht.
Wie es ist, dieses Leben, für mich.
Denn genau so fühlt es sich an, ein Leben, das zu klein ist.
Nicht immer. Aber oft. Sehr oft.

Ich will so viel sagen, und es kommt doch nicht richtig aus mir raus.
Ich will so viel machen, aber ich weiß nicht, womit ich anfangen soll.
Ich will so viel sehen, aber ich schaffe es oft nicht, die Scheuklappen abzustreifen.
Ich will so viel leben in diesem Leben, dass ein Leben niemals dafür ausreicht.
Und dann sitze ich da und sehe den Sand nach unten rieseln und will es rausschreien, will es umreißen, will es durchschauen – will es leben dieses Leben!
Also mache ich es. Ich gebe ihm eine Stimme, dem Leben.
Ich mache, tue, laufe, renne, sehe klar, lebe so sehr, dass es schmerzt.
Und trotzdem fühlt es sich noch immer oft zu klein an, dieses Leben.
Ein bisschen.
Nicht immer. Aber oft.
Zu oft.

Viele würden es jetzt wahrscheinlich Midlife-Crisis nennen wollen, aber ich habe noch nie von einem Fall gehört, dessen Lebenskrise bereits im Kindergarten begonnen hat.
Nein, es hat nichts mit den Jahren zu tun, die vergehen. Mit der Lebenszeit, die immer weniger wird.
Es ist etwas viel Elementareres.

Es ist ein Leben, das zu klein ist.

Es ist ein Leben, das – so kommt es mir zumindest oft vor – jedem genau passt. Nur ich habe die falsche Größe erwischt.
Versteht mich nicht falsch, ich bin einer der glücklichsten Menschen, die es gibt. Einer, der am zufriedensten. Ich liebe mein Leben, das Leben, das ich führen darf. Ich bin unendlich dankbar für alles, was ich bin, was ich habe, was ich sein darf. Und ich habe Angst, dass meine Worte hier falsch aufgenommen werden. Nicht verstanden werden, denn ich kann sie ja nicht einmal mir selbst richtig erklären.

Vielleicht ist es auch das, was mich so zerreißt, dieser Zwiespalt, dass ich eigentlich so glücklich und zufrieden und dankbar bin und nichts ändern will. Aber eben gleichzeitig geistert da dieser eine Satz durch mein Hirn:
Dieses Leben ist zu klein für mich.

Vielleicht werde ich irgendwann ergründen können, weshalb es sich so anfühlt. Und ob das Große, das da in mir ist, vielleicht sowieso schon lang nach draußen gefunden hat, dass es nur ich noch nicht begriffen habe.
Dass sich das Leben schon ausgedehnt hat, nur ich hinke noch hinterher.
Vielleicht?

Aber für den Moment sage ich einfach, wie es ist. Wie es sich anfühlt.
Und vielleicht fühlst du ja so wie ich.

Dieses Leben ist zu klein für mich.

eine Lieben, wie oft habe ich eigentlich schon folgenden Satz von mir gegeben: Ich habe keine Ahnung, ob es irgendeinen Sinn ergibt, was ich da gerade geschrieben habe. Es sind exakt die Worte, die in mir waren, die mich meinen Arzttermin fast schwänzen haben lassen, die sich allerdings, als ich wieder zu Hause war, noch immer so groß angefühlt haben, dass ich sie nun rausgelassen habe. Ich versuche mit dem, was ich sage, was ich schreibe, immer etwas zu bewirken. Oder zumindest eine klare Aussage zu treffen. Oder ein Problem zu erörtern, zu dem ich den Lösungsansatz gleich mitliefere.
In letzter Zeit passiert es immer öfter, dass ich euch etwas erzähle, aber es Gedanken sind, die auch für mich noch kein Ende gefunden haben. Wie hat es der österreichische Kabarettist Gunkl bzw. Günther Paal einmal genannt? Meine Gedanken sind noch hirnwarm. So kann man es tatsächlich am besten ausdrücken. Ich glaube, dass sie für viele keinen Sinn ergeben werden, aber die, die ähnlich fühlen, werden sofort bei mir sein. Und vielleicht geht es mir darum, dass sich ein Leben, das sich zu klein anfühlt, geteilt gleich viel größer anfühlt.
Und das würde ich jetzt gerne einfach genau so stehenlassen.
Alles Liebe, love&peace,