Teestunde: neues Hobby Langeweile

Meine Lieben, na, heute schon produktiv gewesen? Schon Punkte von deiner To-do-Liste abgehakt? Nicht? Also bitte, wir haben beinahe acht Uhr morgens, was bist denn du für ein “Owizarrer” (fragt mich bitte nicht, wie ich das ins Bundesdeutsche übersetzen will …)?

Jedes Mal, wenn ich Social Media aufdrehe und irgendeinem Content Creator zuhöre, wie er bereits morgens um sieben Uhr die halbe Weltherrschaft an sich gerissen hat und von unzähligen anstehenden Terminen an diesem Tag die Rede ist, frage ich mich, wann es eigentlich en vogue geworden ist, immer gestresst und dem Burn-Out nahe zu wirken.
Es erweckt tatsächlich den Anschein, je mehr Termine und Verpflichtungen wir pro Tag vorweisen können, desto erfolgreicher sind wir. Da macht es auch keinen Unterschied, dass ein Friseurbesuch oder ein Coffee Date mit der besten Freundin einfach mal als dringender Termin verbucht wird. Schaut halt einfach besser aus auf unserer persönlichen Erfolgsskala.

In Angesicht dessen traue ich mich es fast nicht laut auszusprechen, aber wisst ihr, was mein neuestes Lieblingshobby ist? Nö, könnt ihr natürlich nicht wissen. Na ja, oder vielleicht doch, denn ich habe es im Titel bereits verraten: Ich langweile mich für mein Leben gern! Und ich habe nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei.

Es ist eine Langeweile, der ich mich vollkommen hingebe. Diese Langeweile, die jeder – und zwar wirklich jeder, auch wenn wir gern so tun, als ob es eine solche in unserem Leben gar nicht geben kann, weil wir ja ach so beschäftigt aka erfolgreich sind – mehrmals täglich verspürt, aber meist nur für wenige hundertstel Sekunden, denn dann wird gleich das Smartphone zur Hand genommen und dämlich in der Gegend herumgescrollt oder die Kopfhörer in die Ohren gesteckt und Podcasts gelauscht oder irgendein Artikel oder Buch gelesen. Nicht, dass ich etwas gegens Lesen an sich hätte, blöd wäre ich. Was ich damit ansprechen will, ist diese Art, die sich verbreitet hat, dass jeder stille Moment, jeder Augenblick, in dem man eigentlich zum Nichtstun verdammt wäre, sofort mit einer Tätigkeit gefüllt werden muss.

Gelangweilt vor sich hinstarren, Luftschlösser bauen, Bodenrillen zählen, Flecken an den Wänden betrachten und sich Geschichten dazu ausdenken, Menschen beobachten oder einfach nur eine Haarsträhne in die Luft pusten, bis sie sich wieder legt und erneut die Nase kitzelt – all das und so vieles mehr ist etwas, das wir verlernt haben. Ist etwas, das wir als reine Zeitverschwendung betrachten. Zeit, in der wir doch produktiv sein könnten. Oder mit unserem Handy in der Hand einfach nur den Anschein erwecken möchten, dass wir es sind – und somit wahnsinnig wichtig und erfolgreich.

Wir rennen alle wie kleine Duracellhäschen durchs Leben. Innehalten und an einer Blüte riechen, anhalten, die Augen schließen und einmal tief durchatmen, sich hinsetzen und für ein paar Minuten nur Löcher in die Luft starren: Undenkbar! Dabei ist Langeweile ab und zu so wichtig. Man kann zur Ruhe kommen, das Gehirn kann sich neu sortieren. Erlebtes verarbeiten, bewerten und einordnen. Wenn wir Dinge immer nur irgendwo ablegen, weil wir schon wieder am Sprung sind, werden sie sich nicht von selbst wegräumen, das kennen wir alle. Die unerledigten Dinge türmen sich übereinander, bis wir nicht mehr wissen, wo wir mit dem Wegräumen überhaupt beginnen sollen. Wir fühlen uns überfordert und, noch bevor wir mit dem Aufräumen angefangen haben, erschöpft.

Ebenso ist es auch mit unserem Gehirn. Wenn wir es immer nur mit Reizen füllen, mit Informationen zumüllen, hat es keine Zeit, alles richtig zu verarbeiten. Dabei hat es so etwas Schönes an sich, über sinnlose Dinge nachzudenken, einfach nur dazusitzen und vor sich hinzugrübeln. Und wenn wir ehrlich sind, ist das ja dann auch gar keine wirkliche Langeweile, auch wenn es für andere vielleicht so aussehen mag. Andererseits, sollte es uns nicht egal sein, ob wir produktiv erscheinen, ob wir gehetzt wirken aka, wir müssen doch wahnsinnig erfolgreiche Menschen sein, wenn wir so gefordert werden?

Bereits als Kind hat man mich Träumerlein genannt, da ich schon immer minuten- wenn nicht sogar stundenlang herumsitzen konnte und Löcher in die Luft starren. Schaut von außen so aus, als ob ich Zeit verschwende – mich langweile. Aber alles, was in mir passiert, ist eigentlich, wenn ich ehrlich bin, alles andere als langweilig. Man sieht es vielleicht nicht von außen, aber in mir drin geht ganz schön was ab. Mir ist es allerdings egal, ob man denkt, ich wäre “super busy” oder mir unterstellen möchte, ich wäre ein Zeitverschwender, denn ein Vorteil des Älterwerdens ist es, dass einem immer mehr egal ist, was andere von einem denken.

Je älter ich werde, desto mehr genieße ich die Momente, in denen ich einfach nichts tun darf. Und dann mache ich auch genau das: Nichts. Im Grunde warten wir doch ständig das halbe Leben auf irgendetwas. Sei es auf einen Arzttermin im Wartezimmer, auf einen Bus, auf eine Bestellung im Lokal, auf was auch immer. Natürlich könnte man diese Zeit ideal nutzen, um durchs Handy zu scrollen, ein paar Nachrichten oder Mails zu verschicken oder sich mit Videos zuzuspamen.
Wir könnten dieselbe Zeit aber auch dazu nutzen, Löcher in die Luft zu starren, die Bodenrillen zu zählen, sich Geschichten zu der seltsamen Form unserer Muttermale auszudenken, sich die Haare um den Finger zu wickeln und zuzusehen, wie sie sich wieder entwickeln – uns einfach nur zu langweilen.

Langeweile wird von uns als negatives Gefühl angesehen. Ein Gefühl, das uns unwohl fühlen lässt. Aber Gefühle lassen sich verändern. Langeweile ist für mich schon lang nicht mehr mit Negativität verbunden. Langeweile bedeutet, ich habe Zeit. Ich habe Zeit, die nur mir gehört. Das ist purster Luxus! Zeit, die niemand mit etwas gefüllt hat, also auch ich sie mit nichts füllen muss. Ich kann, wenn ich will, aber wir sollten es alle viel öfter nicht wollen.

Und, hast du dich heute schon gelangweilt?
Nein, dann probier es einmal aus. Lass das Handy stecken, lass das Buch im Rucksack, lass die Kopfhörer in der Tasche. Schau aus dem Fenster während der Zugfahrt, verfolge die Risse in der Wand dir gegenüber im Wartezimmer, schau dir deine Mitmenschen an, auf deinem Weg zur Arbeit. Gib dich ganz diesem Gefühl der Langeweile hin! Geh langsamer, mach alles bewusster und deine Langeweile wird sich in etwas anderes verwandeln, in das Gefühl von Frieden.

Purster Frieden!

eine Lieben, so lang wollte ich schon etwas zu diesem Thema schreiben und jetzt bin ich nicht zu hundert Prozent zufrieden damit. Ab und zu ist es doch zum Haareraufen, wenn man genau weiß, was man sagen will, was die Aussage ist, die man tätigen möchte, aber es kommt einfach nicht richtig raus. Ich hoffe allerdings trotzdem, ihr habt verstanden, was ich sagen will. Vielleicht sind die Worte nicht so gewählt, wie ich es mir von mir selbst gewünscht hätte, aber wichtig ist mir eigentlich auch mehr, dass die Aussage ankommt, und die ist, glaube ich, eindeutig: Langeweile ist nichts Schlechtes, ganz im Gegenteil. Wir sollten uns ihr viel öfter hingeben, und vor allem ohne schlechtes Gewissen. Das ist, denke ich, das, was wir vor allem lernen müssen. Kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn wir uns mit etwas wohlfühlen, was allgemein konträr angesehen wird.
Alles Liebe, love&peace,