Teestunde: Vorsätze sowas von gestern, oder?

Meine Lieben, kaum sind die letzten Raketen in der Atmosphäre verblasst, die geleerten Sektflaschen im Altglascontainer gelandet und Aspirin und Co haben den schlimmsten Kater vertrieben, werden wir von allen möglichen Seiten mit Motivationsreden und Ideen zur Selbstverwirklichung geradezu zugespamt. Nicht, dass ich per se etwas Schlechtes daran finde zu reflektieren, sich neu aufzustellen, um an sich selbst und seinen Zielen zu arbeiten. Ganz bestimmt nicht. Aber wollt ihr vielleicht trotzdem wissen, was mich so sehr daran nervt, dass es mich beinahe zum Ausrasten bringt?

Ich sage es euch so oder so: Dass alle – und zwar wirklich alle – mit denselben Ideen um die Ecke kommen!
Da gibt es keine brillianten Innovationen, die einen zum Grübeln bringen, ob man das für sich nicht auch einmal ausprobieren sollte, denn das würde ich wirklich großartig finden. Vielleicht sogar verschiedene Ansätze und ich kann selbst entscheiden, welcher davon am besten zu mir und meinem Leben passt.
Nein, stattdessen habe ich in den letzten Tagen und Wochen gefühlt nur eine Idee bzw. eigentlich sogar nur ein Wort wieder und wieder vorgekaut bekommen: Manifestation. Und man soll dafür Vision-Boards erstellen, um Ziele zu visualisieren, um damit seine Zukunft – eben – zu manifestieren. Ja, Manifestation ist DAS Schlagwort, von dem ich nicht einmal mehr zählen kann, wie oft und von welcher Stelle ich es momentan gefühlt ständig zu hören bekomme.

Solltet ihr mich jetzt fragen wollen, was genau damit gemeint ist und mich bitten, euch zu erklären, wie es funktioniert, dann verweise ich einfach auf diverse Social-Media-Kanäle und die sogenannten Content Creators. Ehrlich, ihr braucht nur reinklicken und findet sofort unzählige Beispiele für diese sogenannten Vision-Boards und Ideen zur Selbstreflexion – wobei, unzählige Varianten? Nein, eigentlich nicht, denn wenn man sie genauer betrachtet, gleichen sie sich alle auf die eine oder andere Weise.

Wahrscheinlich könnt ihr es schon nicht mehr hören, aber eins meiner persönlichen Schlagwörter, das ich immer wieder in den Äther rufe, ist Individualismus. Meine Predigten dazu gleichen fast einem religiösen Akt. Und wahrscheinlich ist es meiner Bubble geschuldet, in der ich allein schon berufsbedingt lebe, dass ich das Fehlen dieser mehr oder weniger tagtäglich unter die Nase gerieben bekomme.
Aber ich finde es nun mal so schade, dass es scheint, als ob für persönliche Entwicklung, für innovative Ideen, für ehrliche Kreativität offensichtlich kein Platz mehr ist. Es wird nur noch schamlos kopiert.
Aber gut, ich verzettel mich gerade komplett, denn das ist eigentlich gar nicht das Thema, um das es hier gehen soll.

Kommen wir zurück zur Manifestation und Vision Boards und Neujahrsvorsätzen:

Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich ein kleiner Silvester-Grinch bin. Ich mag das Festliche an dem Tag, dass etwas Besonderes in der Luft liegt, aber die Idee des Neujahrswechsels an sich hat sich mir leider nie erschlossen. Wie iditotisch das wirklich ist, habe ich speziell heuer erlebt, da eine Freundin von mir zu Silvester in Melbourne bei ihrer Oma war, sie also bereits einige Stunden vor mir ins neue Jahr gefeiert hat.
Und genau so ist es für andere Jahr für Jahr.
Wenn es wenigstens so wäre, dass es etwas ist, das tatsächlich für die gesamte Menschheit um genau denselben Zeitpunkt passiert. Man sich vorstellt, dass all diese Milliarden von einzelnen Persönlichkeiten auf unserem Erdball verteilt um exakt dieselbe Uhrzeit in den Himmel blicken, um einem neuen Jahr entgegenzufeiern, das wäre schon irgendwie besonders. Aber das ist halt nicht möglich.
Was genau feiern wir da also?

Egal, es ist, wie es ist. Die Silvesternacht macht vielen Menschen Freude und alles, was jemanden glücklich macht, hat seine Berechtigung und macht wiederum mich dadurch ebenso glücklich.

Zumindest bis zu dem Punkt, bis sich die Silvesternacht dem Ende zuneigt und ich zum ersten Mal die Frage gestellt bekomme, ob ich denn Vorsätze fürs neue Jahr habe.
Könnt ihr das Staubwolkerl sehen, das als Einziges von mir zurückbleibt?
Nichts lässt mich schneller die Flucht ergreifen, als diese Frage.

Obwohl ich der Idee von Vorsätzen durchaus etwas abgewinnen kann.
Aber tatsächlich nur der Idee, denn allein das Wort stört mich schon massiv: Vorsatz. Vorsatz bedeutet, sich etwas vornehmen. Aber man soll sich nicht einfach nur etwas vornehmen. Man soll nicht planen, etwas zu tun. Man soll es tun! Doch dazu, wenn wir ehrlich sind, kommt es nur selten. Vielleicht sollten wir also damit beginnen, es schon mal anders zu nennen. Nicht Neujahrsvorsatz, sondern Neujahrsaktion. Und wisst ihr, was? Lassen wir doch das Neujahr davor gleich auch noch weg.
Für mich persönlich beginnt das Neujahr heuer sogar erst mit Ostern, einfach weil ich davor noch ein paar Hürden zu überwinden habe und niemand will so in ein neues Jahr starten, oder? Ich bringe erst mal all meine gesundheitlichen Geschichten hinter mich und dann starte ich durch.

Und genau so wird es nicht nur mir allein gehen. Wahrscheinlich hat so gut wie jeder die eine oder andere Geschichte, die er im Vorjahr nicht zu Ende schreiben konnte. Vielleicht fühlt man sich deshalb sogar in genau dieser speziellen Nacht nicht so frei, wie es bei den anderen wirken mag. Man fühlt sich eventuell sogar schlecht, weil man es nicht geschafft hat, seine Kapitel zu beenden.
Was ich genau diesen Personen allen gerne sagen würde: dass sie noch unendlich viel Zeit dafür haben!

Seine persönliche Entwicklung, das, was einen umtreibt, antreibt, weiterbringt, sollte keinem Zeitdruck unterliegen. Es sollte generell keinem Druck unterliegen. Man braucht keine bunten Bilderchen in einer Collage, um sich selbst zu finden. Denn wenn man in fremden Perspektiven versucht, sich selbst zu finden, ist das, meiner Meinung nach, der komplett falsche Weg. Insofern sollte es mich eigentlich nicht wundern, dass da draußen so viele Kopien von Kopien herumlaufen, wenn man sein eigenes Leben in fremden Bildern sucht und sich diese als Entwicklungsziel setzt.

Ich habe nichts gegen das Manifestieren von Zielen, gegen die Idee der Weiter- bzw. Selbstentwicklung, aber es steckt doch schon an sich im Wort: “selbst”. Wir sollen uns selbst entwickeln und nicht zu etwas entwickeln, was ein anderer schon ist.
Das, was jeden Einzelnen von uns so besonders macht, ist, dass er einzigartig ist. Nirgendwo auf diesem Planeten gibt es jemanden, der du ist. Der du sein kann. Das ist deine Superpower! Du brauchst keine Bilder von Leben anderer, um dir selbst Ziele zu setzen. Um dir zu zeigen, wer oder was du sein kannst, wenn du daran arbeitest. Die Bilder, die du für deine Entwicklung brauchst, hast du bereits in dir.
Wir haben nur leider verlernt, uns selbst zu lesen.

Was ich mit diesem ganzen Geschwafel eigentlich sagen will, ist schnell zusammengefasst: 
Die Silvesternacht liegt hinter uns und wahrscheinlich ist es vollkommen natürlich, dass wir uns zum Jahresbeginn hinsetzen und überlegen, was wir im letzten Jahr erlebt haben. Was haben wir erreicht? Sind wir mit dem Punkt, an dem wir heute stehen, zufrieden? Wie gesagt, das ist wohl das Natürlichste überhaupt. Logischerweise führt das dann dazu, dass wir uns Gedanken machen, was wir im neuen Jahr vielleicht anders machen könnten, um eventuell den einen oder anderen Fehler zu vermeiden – vorausgesetzt wir sind überhaupt der Meinung, dass wir etwas besser machen sollten. Das ist ja nämlich auch so ein Ding, dass dieses Vorsätze voraussetzen, dass wir es besser machen könnten. Dass wir mit dem Stand der Dinge nicht zufrieden sind … egal, ich geb schon wieder Ruhe. Zurück zum Thema:
Wir sitzen also da und reflektieren über die Vergangenheit und stellen uns eine Zukunft vor, wie wir sie uns im besten Fall wünschen würden. Und genau das ist auch richtig so! Wir sehen dabei uns in unserer Zukunft. Wir sehen dabei keine fremden Gesichter, die “unser” Leben führen, das wir aber noch nicht erreicht haben. Niemand sollte das wollen.

Stell dir dich vor, wie und wo du dich siehst. Und wenn du weißt, dass du an dieser Version von dir oder deinem Leben erst im Frühjahr oder Sommer arbeiten kannst, dann ist das auch in Ordnung. Es gibt keinen Zeitplan, den du einzuhalten hast. Niemand, dem du Rechenschaft ablegen musst, außer dir selbst. 
Lebe dein Leben bzw. dein Jahr so, dass wenn du in 365 Tagen am nächsten ersten Januar dasitzt und reflektierst, zur Erkenntnis gelangst, dass du keine Vorsätze brauchst, weil du genau an dem Punkt bist, an dem du zu diesem Zeitpunkt sein solltest.

Die Zukunft liegt immer noch vor dir und du bist die Person, die sie gestaltet. 
Mit dir als Hauptperson!

eine Lieben, yay, ich habe es nicht verlernt, ich kann es noch immer, meine eigenen Gedanken so sehr zu verknoten, dass ich sie beinahe selbst nicht mehr verstehe! Aber vielleicht könnt ja ihr sie enträtseln?
Ihr wisst, ich nutze meine Teestunde immer dann, wenn ich ein Thema habe, das mich gerade sehr beschäftigt und so gut wie immer wurde es durch meine Social-Media-Bubble ausgelöst. Ich bin es einfach so leid, diese ganzen Vision-Boards und Bildcollagen betrachten zu müssen, die sich eigentlich alle beinahe bis aufs selbe benutze Bild gleichen, und ich mich schon frage, wohin sich da alle eigentlich entwickeln wollen? Zu Klonen? Wieso ist es nicht mehr modern, sich selbst zu feiern, eben seine Individualität. Und dieses ganze Manifestieren und Selbstverwirklichung, blablabla – das tun wir doch sowieso automatisch in jeder Sekunde, mit jedem Atemzug. Mit allem, was wir erleben, entwicklen wir uns weiter. Ich finde nicht, dass wir das unbedingt mit Gewalt steuern sollten.
Wie auch immer, mich würde es wahnsinnig interessieren, wie euch dieses Thema begegnet, was ihr dazu sagt.
Und ob ihr meine Worte überhaupt verstanden habt …
Alles Liebe, love&peace,