Happy New Year 2021

Wie lange ist es her, dass ich das letzte Mal einen Brief geschrieben habe? Doch besondere Momente verlangen nun mal nach besonderen Maßnahmen, also wird mein erster selbstverfasster Brief seit unzähligen Jahren ein Abschiedsbrief sein. Ein Abschiedsbrief an dich, liebes Jahr 2020.
Abschiede sind nie schön und deshalb fällt es mir auch jetzt furchtbar schwer, die richtigen Worte zu finden. Ich weiß, du wirst dich wahrscheinlich ein bisschen fürchten und eine weitere Hate-Nachricht erwarten, aber keine Angst, dafür müsstest du mich eigentlich gut genug kennen inzwischen, immerhin haben wir zwölf Monate gemeinsam verbracht. Du solltest wissen, wenn etwas auf mich nicht zutrifft, dann die Tatsache, dass ich die Welt nur in schwarz-weiß Tönen zeichne. Ja, ja, schon gut, ich weiß, du kannst schon wieder zu lachen aufhören, mit Farben habe ich es tatsächlich nicht so, aber es gibt doch auch so viele Grauschattierungen dazwischen.

Doch fangen wir am besten einfach am Beginn unserer Beziehung an. Es war diese eisig kalte Nacht im Januar, als wir uns zum ersten Mal getroffen haben. Wie jede erste Begegnung waren wir zuerst etwas zurückhaltend, konnten den anderen nicht richtig einschätzen, aber gleichzeitig waren wir auch voller Hoffnung, dass wir vielleicht einem neuen besten Freund gegenüberstehen. Wir sind es erst einmal langsam angegangen und zu diesem Zeitpunkt dachte ich mir noch, dass wir noch so viel Zeit gemeinsam haben werden, wir brauchen nicht gleich große Pläne schmieden und uns ins Abenteuer stürzen und doch, wir haben gemeinsam von Amsterdam geträumt, wollten auf ein Konzert nach Berlin – ach, sind wir ehrlich, wir haben uns die nächsten Wochen und Monate in den schönsten Farben ausgemalt.

Wie es aber nun mal so ist mit Freundschaften, sie haben nicht nur Höhen, sondern auch Tiefen. Ich werfe jetzt einfach mal eine missglückte Operation in den Raum, aber wie soll ich dir die Schuld dafür geben, du hast nun mal keine magischen Kräfte und ich weiß, du hast dir gerade die letzten Monate viele Beleidigungen anhören müssen. Die Menschen haben voller Verachtung über dich gesprochen und wollten am liebsten nichts mehr mit dir zu tun haben, aber glaube mir, so habe ich nie über dich gedacht. Nicht, als ich diese Operation wieder am Minus-Konto verbuchen musste und auch nicht, als so ein blöder Virus die Menschheit in Angst und Schrecken versetzt hat. Wie könnte ich das dir zuschreiben. Wie gerade erwähnt, weiß ich, dass du keine magischen Fähigkeiten besitzt und wenn du gekonnt hättest, bin ich mir sicher, du hättest bestimmt alles anders gemacht.

Gerade die letzten Tage habe ich viel über dich nachgedacht. Ich habe überlegt, warum wir zwei uns so gut verstehen, aber so viele dich nicht leiden können. Hast du dich mir gegenüber anders verhalten? Wer kann schon in Menschen hineinsehen. Vielleicht hast du ihnen auch etwas anderes versprochen? Gut, du hast dich auch mir gegenüber ab und zu etwas rüpelhaft verhalten. Ich meine, den Bauchnabelbruch hätte es nicht gebraucht, sind wir mal ehrlich, aber kann ich wirklich dir dafür die Schuld geben? Und auch gut, auch wir hatten gemeinsame Pläne, von denen du plötzlich nichts mehr wissen wolltest, aber andererseits werde ich eins nie vergessen:
Wir zwei haben gemeinsam etwas erlebt, von dem ich nie gedacht hätte, dass es jemals passieren wird. Wir haben tatsächlich zusammen meinen ersten Roman veröffentlicht. Ich kann es noch immer nicht glauben und deshalb, egal wie du dich auch sonst verhalten hast, egal ob die anderen zetern und schimpfen, ich werde dich schon allein deshalb immer in der schönsten und besten Erinnerung behalten. Ich meine, Hallo, du und ich und ein Roman, so fangen Liebesgeschichten an. Vielleicht werde ich mir deinen Namen sogar irgendwann tätowieren lassen, denn wenn das jemand verdient hat, dann du.

Eins muss man dir auf alle Fälle lassen, du weißt, wie man einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Ich bin mir sicher, man wird auch noch in hundert und tausend Jahren von dir sprechen. Das muss dir erst mal einer nachmachen. Aber andererseits brauchst du dich dann auch nicht zu wundern, wenn schlecht über dich geredet wird. Niemand mag so einen Geltungsdrang. Aber vielleicht hast du dich ja auch nicht ohne Grund so verhalten. Vielleicht wolltest du uns damit etwas zeigen, etwas beibringen. Ich muss gestehen, ich habe wahnsinnig viel durch dich gelernt. Ich habe gelernt, mit wie wenig man zufrieden sein kann. Ich würde sogar behaupten, wir alle sind genügsamer geworden, wissen Dinge, die wir immer hatten, plötzlich viel mehr zu schätzen und du hast uns gezeigt, dass, wenn es hart auf hart kommt, wir alle zusammenstehen können.

Weißt du was, eigentlich bist du einer der besten Freunde, die ich jemals kennengelernt habe, denn ist es nicht so in Freundschaften? Man muss dem anderen auch einmal vor Augen führen dürfen, wenn man sich falsch verhält – Fehler aufzeigen und sich helfen, zu verbessern. Vielleicht war das der Grund, warum du nicht nur mich, sondern auch alle anderen so gefordert hast.
Und weißt du was, bei mir ist deine Botschaft angekommen. Ich glaube, ich habe verstanden, was du mir beibringen wolltest. Ich verspreche dir, du wirst für immer in meiner Erinnerung bleiben, aber nicht nur in schlechter – nein, eigentlich überhaupt nicht in schlechter -, sondern in guter und vor allem in ewiger.

Für mich wirst du immer derjenige sein, der mir gezeigt hat, dass ich auch mit schwierigen Phasen richtig gut umgehen kann, dass ich stark bin, dass schon mehr als ein Virus kommen muss, um mich in Angst und Schrecken zu versetzen. Du hast mir beigebracht, wie wertvoll Zeit ist, wie wertvoll eine gute Beziehung zu sich selbst ist, wie wertvoll die Natur ist, was alles in mir steckt und wie wenig man im Grunde braucht, um glücklich zu sein. Du hast mich an der Hand genommen und mir unvergessliche Momente beschert. Niemals werde ich vergessen, wie wir gemeinsam meinen Geburtstag in Wien gefeiert haben und wie besonders sich diese Stadt, die ich wie meine Westentasche kenne, plötzlich angefühlt hat, eben weil ich sich so selten sehen konnte die letzten Monate. Du bist mit mir nach Stuttgart und München, nach Hamburg und Dresden gereist, wir haben fast den ganzen Sommer zusammen draußen verbracht, sind in der Sonne gelegen, haben jeden Tag zu schätzen gewusst.

Und, du hast mit mir gemeinsam diesen Moment erlebt, als ich zum ersten Mal meinen ersten Roman in Händen halten durfte. Bei all dem warst du an meiner Seite. Mit dir musste ich vielleicht Operationen erleben, aber im Endeffekt sind sie doch alle mehr oder weniger gut ausgegangen. Wir mussten grausame Nachrichten vernehmen, mussten Bilder sehen, die niemals jemand sehen sollte und trotzdem gehört das zum Leben dazu. Ich glaube, du hast das vor uns allen verstanden. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, nicht nur Gut und Böse und niemand ist perfekt. Auch nicht du, aber das weißt du und das macht dich so besonders.

Bitte gräme dich nicht, wenn du jetzt gehen musst und dir wohl viele keine schönen Worte nachsagen werden, in meinem Herzen wirst du für immer bleiben, als jemand, der mich geprägt hat, der mich verändert hat und der mich ein Stück hat wachsen lassen. Ich sage DANKE für deine Freundschaft, DANKE, dass du dafür gesorgt hast, dass ich dich in guter Erinnerung behalten kann und DANKE, dass du immer auch ein Licht im Dunkeln bereitgehalten hast.

Wir werden uns wohl nie wiedersehen, aber für mich wirst du immer das Eine bleiben, dieses eine Jahr, das ich nie vergessen werde.

Mach´s gut und pass auf dich auf!