Ja sind denn jetzt alle verrückt …

Meine Lieben, wisst ihr, was wirklich schlimm ist? Wenn ihr euch sicher seid, wer ihr seid. Wenn ihr wisst, wie ihr Dingen gegenübersteht. Gefestigt seid. Eine ungefähre Ahnung habt, wie die Zukunft aussehen wird. Ihr würdet für gewisse Themen die Hand ins Feuer legen, da ihr euch so sicher seid, dass sie niemals passieren werden.
Weil ihr eben wisst, wer ihr seid. Ihr wisst, wie ihr bestimmten Themen gegenübersteht.
Ihr seid euch so sicher, ihr habt eine Ahnung von der Zukunft.
Vor drei Monaten hätte ich das noch genau so gesagt.
Vor drei Monaten habe ich noch jeden verurteilt, der gemeint hat, er schaut sich keine Nachrichtensendungen mehr an, da er mit all der Grausamkeit auf dieser Welt nicht umgehen kann.
Ich habe selbst noch als Antwort auf eine Frage in einem Q&A gesagt, dass ich keine Angst vor der Zukunft habe. Dass Angst niemandem hilft. Dass ich mir sicher bin, der Mensch weiß im Grunde seines Herzens, was das Richtige ist. Dass die Mehrheit intelligenter ist und ich mir sicher bin, die Weltlage wird sich wieder stabilisieren.

Drei Monate, es hat nur drei Monate gedauert und ich bin an einem Punkt angelangt, an dem ich meinen Nachrichtenkonsum so einschränken muss, dass ich nicht zurück in eine Depression verfalle.
Es hat nur drei Monate gedauert, dass ich zwar noch keine Panik verspüre, aber da schon etwas in mir ist, das man mit einem Gefühl von Angst vergleichen könnte, wenn ich an die Zukunft der Welt, wie wir sie kennen, unserer Werte, unserer Ansichten von Politik, Demokratie und einem friedvollen Miteinander denke.

Drei Monate!
What the F…!

Nie, niemals in meinem Leben hätte ich gedacht, dass ich es einmal erleben würde, dass Teile der westlichen, der demokratischen Welt, wie wir sie kennen, plötzlich wegbrechen werden. Dass ein Mensch, ein einzelner Mensch, die gesamte Weltsicherheit ins Wanken bringen wird – und ja, mir ist schon bewusst, dass es niemals eine “Weltsicherheit” in dem Sinn gegeben hat. Dass nur ich das Glück habe, in einem Teil dieser Welt zu leben, in dem ich mir (bisher) über Krieg und dergleichen keine Gedanken machen musste.

Kann das alles wirklich wahr sein?
Kann ein einzelner Mensch tatsächlich so eine Macht haben?
Darf das überhaupt sein?

Übrigens, was ich da gerade von mir gebe, habe ich weder großartig durchdacht noch ist es wahrscheinlich klug, seine Gedanken ungefiltert so einer breiten Masse vor die Füße zu knallen. Aber ich finde, dass gerade jetzt definitiv nicht der Zeitpunkt ist, still zu sein, nicht seine Meinung zu sagen, abzuwarten, zu hoffen, dass sich schon alles wieder beruhigen wird.

Denn: What the F…!

Eine Frauenbewegung, die einfach mal so siebzig Jahre zurückgeworfen wird. Ein Bild von der Frau zurück am Herd ohne eigene Meinung oder Selbstbestimmung ist tatsächlich ein gewünschtes und angestrebtes Szenario, das von einem der bisher modernsten und mächtigsten Länder der Welt propagiert wird.
Bücher, die auf eine verbotene Liste gesetzt und verbannt werden, weil sie als Gefahr angesehen werden, während Waffen freiverkäuflich sind. Ich meine, wenn Bücher gefährlicher eingestuft werden als Waffen, dann frage ich mich, was kommt als Nächstes – die Geschichte hat uns leider gezeigt, dass dies meist erst der Anfang ist.
Eine Liste von Wörtern, die in offiziellen Mitteilungen, Dokumenten und Webseiten nicht mehr verwendet werden dürfen. Dass in dieser Liste Begriffe wie climate crises, diversity oder gender zu finden sind, kommt nicht überraschend. Aber racism bzw. anti-racism, feminism, female, breastfeed, barrier, discrimination, equality u.u.u. Diese Liste hätte es eigentlich nicht gebraucht, denn jetzt fehlen mir die Worte.
Menschen, denen gesagt wird, dass ihre Art zu leben, zu lieben, nicht “normal” ist und somit einfach so getan wird, als würden sie nicht existieren. Dasselbe was bestimmte Geschlechter angeht.
Ich könnte noch hunderte solcher Beispiele nennen und traue es mich beinahe nicht.
Ist das nicht schlimm?

Denn wisst ihr, was ich gerade gemacht habe?
Ich habe meinen Mann angerufen, ihm diese ersten Zeilen vorgelesen und gefragt, ob ich das so schreiben kann. Ob es klug ist, so etwas mit meiner Reichweite von mir zu geben. Ob das nicht zu unsicher ist.
Ich meine …

What the F…?

Wie schlimm ist es, dass mir solche Gedanken kommen? Dass ich Angst habe, meine Meinung über ein Thema, ein Land, eine Person von mir zu geben, weil ich Konsequenzen befürchte.
Und wieso tue ich eigentlich so, als ob dessen Namen nicht genannt werden darf (Assoziationen, die ihr bei dieser Anmerkung mit einem gewissen dunklen Lord habt, sind nicht zufällig)?
Wie arg ist das?
Und ja, es hört sich vielleicht lächerlich an, aber ist es das? – und allein, dass ihr mir jetzt nicht alle sagen könnt, ach komm, denk dir nichts, sondern wahrscheinlich unwissend mit den Schultern zucken werdet, zeigt, wie weit es in nur drei Monaten gekommen ist!

Drei Monate und diese Welt ist nicht mehr dieselbe.

Ich musste eins der beliebtesten Urlaubsländer für die nächsten Jahre von unserer Reisezielliste streichen, da es mir tatsächlich zu unsicher wäre, mit dem, was ich schon alles hier von mir gegeben habe, dort einzureisen.
Weil ich kein Vertrauen mehr habe in Gerechtigkeit und eine Rechtsstaatlichkeit in diesem Land.
Oder in Flugsicherheit, was unzähligen gestrichenen Stellen auch in diesem Sektor zu verdanken ist.
Oder als Frau auf der Straße. Dass ich mich in einem Land, in dem eine Aussage wie “grab ’em by the pussy” als en vogue und legitim angesehen wird, vor Übergriffen nicht sicher fühlen kann, ist nicht von der Hand zu weisen.
Hätte mir das vor drei Monaten jemand gesagt, ich hätte ihn ausgelacht.

Ganz ehrlich, ich verstehe die Welt nicht mehr!
Dabei muss ich ja nicht einmal so weit in die Ferne blicken. Ich kann mich in meinem eigenen Land umschauen oder in unserem nächsten Nachbarland. Immerhin haben wir beide dieselben “fantastischen” Wahlergebnisse vorzuweisen, und wir sind gerade noch so mit einem blauen Auge davongegekommen.
Und trotzdem denke ich mir einfach nur:

Ja sind denn jetzt alle verrückt geworden!
What the F…?

Normalerweise, wenn ich Beiträge schreibe, hat es einen Grund, weshalb ich es tue. Ich habe ein Ziel. Auf Fragen versuche ich Antworten zu finden. Andere Themen versuche ich einfach nur von verschiedenen Blickwinkeln aus zu beleuchten, um vielleicht andere Sichtweisen hervorzuheben. Ich freue mich, wenn ich zum Nachdenken anregen, vielleicht sogar ein Umdenken bewirken kann, inspirieren, motivieren.

Aber jetzt, diese Zeilen, sie haben kein Ziel. Sie beantworten definitiv keine Fragen, denn stattdessen habe ich tausende Fragen im Kopf, die mir aber niemand beantworten kann, und das Einzige, das mir die ganze Zeit dazu einfällt ist:
WHAT THE F…?

Und trotzdem, ich weiß, dass es nicht nur mir so geht. Ich weiß, dass ich nicht die Einzige bin, die diese Fragen hat, die sich unsicher fühlt, die sich Gedanken macht, ob sie überhaupt noch weiß, wer sie ist, wo sie steht, wie die Zukunft aussehen wird.
Vor drei Monaten hätte ich das alles für unmöglich gehalten.Aber ich bin definitiv niemand, der nur abwarten will. Wenn ich irgendwann in fünfzig Jahren gefragt werde, weshalb niemand etwas getan hat, weshalb niemand etwas gesagt hat, möchte ich mir sicher sein, dass ich auf der richtigen Seite gestanden bin. Dass ich jemand war, der nicht abgewartet hat. Ich möchte sagen können, ich habe etwas getan!
Ich will niemals jemand sein, der nicht aufsteht. Der in Schockstarre verfällt.
Der die Klappe hält.

Und deshalb: Ja sind denn jetzt alle verrückt geworden?
What the F…?

eine Lieben, wenn ihr mich fragen wollt, was die Aussage dieses Beitrags ist, kann ich nur sagen: Sie hat keine. Dieser Text zählt keine Lösungsansätze auf, er sagt euch nicht, was ihr tun oder denken sollt. Ich habe über kein Wort zweimal nachgedacht, es ist einfach nur dieses Chaos in meinem Kopf, das ich auf Papier gebracht habe, weil ich das alles nicht mehr verstehe. Ich verstehe den Menschen nicht mehr.
Wir wollen doch alle nichts anderes, als ruhig und friedlich leben. Wir wollen uns doch alle nur unseren eigenen, ganz persönlichen kleinen Dramen widmen, Liebeskummer haben, vielleicht Ärger im Job, Geldprobleme. Und wir wollen unsere Zeit mit dem verbringen, was wir lieben: mit Freunden, mit Familie, in der Natur, auf Reisen. Wir wurden mit unseren Werten großgezogen und die vertreten wir bis aufs Blut. Dachte ich. Wir sind doch moderne, intelligente, denkende Menschen, was also ist passiert? Krieg war ein Thema, das zumindest für mich in dieser westlichen Welt keinen Platz mehr hatte. Ich hätte meine Hand dafür ins Feuer gelegt, und plötzlich ist es kein unmögliches Szenario mehr? Wie? Einfach WIE? Wie kann das alles sein?
Ich verstehe es nicht.
Ich verstehe es einfach nicht!
Und nein, meine Worte führen zu keiner Lösung. Sie führen nirgendwo hin. Sie spiegeln nur das wider, was in mir ist.
Ich will so gern etwas tun und weiß nicht was. Weiß nicht wie.
Aber vielleicht reicht es ja schon, wenn man einfach sagt, dass man nicht einverstanden ist.
Dass man da nicht mitspielen wird.
Und hofft, dass noch viel, viel mehr genauso denken …

Alles Liebe, love&peace für immer und ewig,